20 Jahre Ifakara

Zum Abschluss unserer Projektbesuche in Ifakara / in Tansania dieses Jahr, möchte ich mit euch ein paar persönliche Gedanken teilen.

Ziemlich genau 20 Jahre ist es her, dass ich zum ersten Mal hierher nach Ifakara gekommen bin. Von Anfang an war klar, dass es nicht der letzte Besuch bleiben würde. Etwas hier hat mich gepackt und nicht mehr losgelassen … vielleicht wird es das auch nie mehr.

Vieles hat sich verändert in 20 Jahren … die Straße hierher, die nun viel besser ausgebaut ist, die Größe des Ortes, die weiter auseinander klaffende Schere was den Wohlstand betrifft, die klimatischen Gegebenheiten, … aber auch unsere Projekte und wie wir sie umsetzen.

Was mit ersten pfarrlichen Projekten begonnen hat ist heute ein Verein mit einer tansanianischen Partnerorganisation. Von reinen Stipendien und kirchlichen Projekten sind wir heute in den Bereichen Bildung (Stipendien und Bauprojekte an Schulen), Hilfe zur Existenzgründung und Landwirtschaft, immer mit dem Fokus auf Frauen,  junge Menschen und interreligiöse Gruppen tätig. Wie bei so vielen Projekten,  war am Anfang alles stärker in Europa geplant. Heute sind es mehr Kontakte auf Augenhöhe. Das war ein langer Weg – für beide Seiten dieser Partnerschaft.

Es hat uns viel gekostet, an Geld, an Zeit und Energie, es gab einiges an Frustration und Erfahrungen,  auch an Fehlern und Fehlschlägen. Es hat auch mich selbst viel gekostet. Warum also weiter machen?

Weil man nicht aufhören kann, wenn es einen gepackt hat. Dieses Gefühl, diese Leidenschaft für dieses Land und seine Menschen kommt immer wieder – so wie die Malaria, sagen manche scherzhaft. Wer das so erlebt hat versteht.

Ich bin mit diesen Projekten erwachsen geworden, habe mich bemüht sie zu hegen und zu pflegen und sie wachsen gesehen. Ich habe hier gelernt- oh, so viel gelernt – und auch Lehrgeld bezahlt. Mehr als die Hälfte meines Lebens begleitet mich Ifakara.  Ich darf inzwischen bei einer Familie wohnen, während ich hier bin, die mich aufnimmt, als wäre ich nie weg gewesen und als wäre ich ganz selbstverständlich ein Teil von ihr geworden. Wenn sie mich begrüßen und sagen “Karibu nyumbani!” – “Willkommen Zuhause!”, dann fühlt es sich genau so an. Ifakara ist ein Zuhause geworden – vielleicht kann man doch mehr als nur eines haben.

Ich bin dankbar.

Dankbar für die Erfahrungen, dafür, dass ich lerne, wie es ist, enmal “der Fremde” zu sein, dass ich hier sehe, dass es mehr als einen Blickwinkel auf das Leben gibt, dass ich die Vielfalt der Kulturen und des Lebens sehen und wertschätzen darf.

Dankbar für die wärmende Sonne Afrikas, die mir Auftrieb gibt, für die Berge meiner Heimat,  in denen ich verwurzelt bleibe, dafür, dass Not und Freude,  Verzweiflung und Glück von Menschen etwas in mir bewegen und zum Klingen bringen und mich tätig werden lassen.

Dankbar für die Menschen, die dieses Ifakara zu einem Zuhause für mich machen und gemacht haben, die mir in meinem anderen Zuhause in Europa den Rücken frei halten und stärken, die mir meine Wurzeln und Flügel gegeben haben und alle, die unsere Arbeit hier unterstützen und damit erst möglich machen.

Ich blicke heute bei unserem Abschied von Tansania auf 20 Jahre zurück. Auf 20 gute Jahre. Ein Abschied ja…aber nicht für immer. Tutaonana.

Warum das alles?

Es gibt ab und zu noch jemanden der mich fragt: Bringt es denn überhaupt etwas, solche Projekte zu machen, oder ist es ein Tropfen auf den heißen Stein?

Diese Fragen stelle ich mir oft selbst. Man muss die eigenen Projekte und die eigene Arbeit immer wieder hinterfragen, überprüfen und ggf anpassen, damit die auch weiterhin Sinn machen.

Inzwischen sind wir in Dar es Salaam angekommen – eine andere Welt. Zumindest in den Bereichen der Stadt, die touristisch erschlossen sind. Eine eigenartige Scheinwelt … nicht das Tansania, in dem wir uns wohl fühlen.

Aber die Stadt hat uns gestern einen Abend geschenkt, an dem wir sehen durften, was aus Stipendien werden kann. Bei uns am Tisch sitzen 2 ehemalige Stipendiaten, einer davon mit seiner Familie. Beide haben für ihre höhere Schulbildung und das Studium ein Stipendium unseres Vereins erhalten. Und jetzt sitzen wir hier zusammen, tauschen uns über Gott und die Welt aus, manche Geschichten sind zum Lachen, manche stimmen nachdenklich.

Es sind der Arzt Dr. Baraka Hoki, der inzwischen hier in der Großstadt lebt und arbeitet und der Agrarökonom Moses Subert, MBA, der unsere Projekte in Ifakara koordiniert. Während wir bei Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern oder Studierenden, die derzeit ein Stipendium erhalten, oft große Schüchternheit und Zurückhaltung erleben, sind die beiden mit ihren abgeschlossenen Ausbildung jetzt zu unseren Freunden aus Ifakara geworden. Gemeinsam Zeit zu verbringen und zu lachen, auch das macht unsere Projekte aus. Wir begegnen uns als Freunde, als Baraka, als Johannes, als Martin, als Moses.

Und zu sehen, dass es ihnen gut geht und sie sich und ihre Familien erhalten und unterstützen können- ja, ein Tropfen auf den heißen Stein, aber viele Tropfen ergeben auch einen Eimer…und füllen irgendwann auch ein Faß.

Nie stehenbleiben

Machipi – ein weiteres Dorf in Ifakara. Einmal mehr sind wir mit den Rädern unterwegs durch eine Landschaft, die uns an die klassischen Bilder erinnert, die wir in Europa oft von Afrika haben. Die rötliche Erde der Straße, hohe Gräser am Straßenrand, vereinzelt kleine Häuser und der blaue Himmel mit den weißen Tupfen der Wolken, die uns im Vorbeiziehen eine kurze Pause von der brennenden Sonne verschaffen.

Wir sind unterwegs zu Ruben, einem Bauern, der auch an unserem Sonnenblumen Projekt teilnimmt. Er trifft uns auf dem Weg und führt uns über ein Labyrinth aus schmalen Pfaden zu einem seiner Felder. Es steht knapp vor der Ernte, die Köpfe der Sonnenblumen hängen schwer mit Samen. Genau erklärt er uns, wie er mit gespannten Schnüren die Reihen angelegt und immer mit einem Stock den Abstand zwischen den Samen gemessen hat. Sehr genau und immer gleich. So spenden sich die heranwachsenden Pflanzen gegenseitig Schatten und haben doch genug Platz sich zu entwickeln.  Hier ist alles Maßarbeit.

Und auch Handarbeit. Maschineneinsatz, Fehlanzeige. Vom Vorbereiten des Feldes über das Pflanzen bis hin zur Ernte – das wird alles von Hand erledigt. Sogar das Entfernen der Samen aus den getrockneten Köpfen der Sonnenblumen. Viel Arbeit, sicher, aber er ist sehr zufrieden mit dem Erfolg.

Auch das Herauslösen der Kerne aus dem getrockneten Blütenköpfen ist Handarbeit

Das erste Feld habe ich schon abgeerntet. Die Ernte war sehr gut und diese Pflanzen hier werden auch sehr guten Ertrag bringen. Ich freue mich sehr und bin sehr dankbar für die Hilfe. Euer Saatgut hat sehr gute Qualität und diese Samen bringen sehr viel Öl. Auch die Beratung hilft uns sehr. Ich freue mich über Tipps und will dazu lernen. Früher gab es hier kaum Sonnenblumen. Aber sie wachsen sehr, sehr gut. Und man braucht keine Pestizide und so weiter. Das ist schön.

Als wir sein 2. Feld besuchen, das er später angelegt hat, sehen wir das geschäftige Treiben der Bienen an den Blüten. Überall finden sich Wildbienen und die Vögel zwitschern aus den Palmen – dazu die leuchtend gelben Blüten, die das so ermöglichen. Eine Idylle.

Eine Idylle, die gleizeitig Geld bringt. Denn Ruben lebt ausschließlich von der Landwirtschaft. Zusammen mit seiner Frau und 5 Kindern, die alle zur Schule gehen können. Er selbst ist eigentlich Ingenieur für Wassertechnik. Und auch seinen Kindern will er die Chance für weitere Bildung geben. Die Sonnenblumen und deren Ertrag sollen dabei helfen.

Dazu hält er noch Schweine – eine gute Kombination, denn die Reste der Sonnenblumenkerne nach dem Pressen geben gutes Schweinefutter, zusammen mit den eingeweichten Schalen der Reiskörner und Grünfutter wie Bananenblättern, hat er sich so einen schönen Bestand aus wohl genährten Tieren aufgebaut. Verschiedene Standbeine zu haben ist wichtig, besonders, wenn eines davon mal ein Jahr weniger gut funktionieren sollte.

Ein findiger Mann, der auch andere inspirieren möchte und die ersten Nachbaren haben schon Interesse an seinen Sonnenblumen.

Ich möchte, dass besonders die jungen Leute das sehen und selbst versuchen. Ich helfe ihnen auch gerne. Gemeinsam schaffen wir es weiter zu kommen.

Immer neue Ideen kommen ihm, die er verfolgen möchte. Vielleicht in Zukunft auch wieder gemeinsam mit dem Verein der Freunde von Ifakara und unserer Partnerorganisation hier vor Ort, der IALI Foundation.

Hoffen für die nächste Generation

Ein weiterer junger Mann mit Plänen steht heute vor uns – Ahmedi. Unser Stipendiat will Elektroingenieur werden, studieren gehen. Bereits bei unserem letzten Besuch war er ein ausgezeichneter Schüler. Das hat sich nicht geändert. Er ist immer bei den Besten der Klasse dabei.

Diese ambitionierte Haltung hat er von seiner Mutter, die obwohl sie alleinerziehend ist noch eine Ausbildung als Krankenschwester abschließen konnte und auch damit nicht genug, sie macht immer weiter und hat sich jetzt im Bereich der Anästhesie spezialisiert.

Dieser Wunsch, immer neu nach weiteren Chancen und Möglichkeiten zu streben, verbindet Mutter und Sohn. Ambition ist sehr wichtig hier, denn nur wer bei den landesweiten Examen gut genug abschneidet darf weiter zur Schule gehen und für bestimmte Studiengänge sind auch bestimmte Notendurchschnitte nötig. Hierbei zählen immer die landesweiten, genormten Examen.

Ahmedi hat in seinem Form IV Examen (entspricht der 11. Schulstufe) den Abschluss in der Devision 1 mit 10 Punkten erreicht – übertragen auf unser System ein Notenschnitt von ca. 1,3. Das ist doch beachtlich. Und er will weitermachen und sich verbessern. Seine Mutter ist stolz auf den 19jährigen und denkt nicht nur an seine Zukunft:

Auch für seine zukünftige Familie braucht er eine gute Ausbildung. Damit sie sich keine Sorgen machen müssen, über Geld.

Sie selbst kennt diese Sorgen nur all zu gut. Denn neben ihrer Stelle im Krankenhaus betreibt Maua auch noch einen kleinen Laden und hat natürlich noch Felder. Auch da müssen die Kinder neben der Schule mithelfen, sonst würde es nicht gehen. Da bleibt nicht viel Zeit für Spaß, es muss ja noch gelernt werden, um ja den Schnitt zu halten.

Ihre große Hoffnung ist, dass es die nächste Generation leichter hat.

Solidarische Frauen

Knapp vor Sonnenuntergang treffen wir eine Frauengruppe im Ortsteil Viwanja Sitini. Sie treffen sich immer erst spät, denn vorher haben sie keine Zeit.  Der Alltag dieser Frauen ist gefüllt mit Arbeit… Haushalt, Kinder versorgen,  Kochen, Feldarbeit,…es gibt immer was zu tun.

Viele sind es heute nicht,  denn einge sind krank und die meisten sind auf den Feldern um zu Ernten. Insgesamt sind es 36 Frauen, alle aus der direkten Umgebung,  die sich hier regelmäßig treffen – ungeachtet der Religions- oder Stammeszugehörigkeit. Das interessiert hier nicht, denn ihre Alltagsprobleme und Sorgen sind die selben. Woher das Geld nehmen, wenn ein Kind krank wird und medizinische Hilfe benötigt? Wie wird die nächste Ernte und reicht es für die Ernährung der Familie? Woher das Geld für die Schule der Kinder nehmen?

Aus diesem Grund haben sie sich in der Gruppe zusammengetan und eine Art Genossenschaftsbank gegründet. Nicht amtlich registriert, sondern nur über eine Vereinbarung unter sich.

Jede Frau hat eine Grundeinlage von umgerechnet ca. 11 Euro in die “Bank” eingezahlten und dann 1 weiteren Euro bei jedem Treffen der Gruppe.  Darüber wird genau Buch geführt. Diese Einlagen, die sicher von der Schatzmeisterin verwahrt werden, bilden die Grundlage für ihre kleine Bank. Jede der Frauen in der Gruppe kann sich einen Kredit gewähren lassen. Es gibt den langfristig angelegten Kredit, der eine niedrigere Verzinsung hat als der kurzfristige, den sie “moto” nennen. Das bedeutet “Feuer” oder “heiß”. Diese Kredite sind v.a. dann wichtig, wenn schnell Geld gebraucht wird, z.B. wenn jemand ins Krankenhaus muss, denn das muss in einem Land ohne flächendeckendes Versicherungssystem immer gleich bezahlt werden. Der Moto-Kredit sollte nach sehr kurzer Zeit (meist einer Woche) zurückgezahlt werden und hat deutlich höhere Zinsen. Wobei es hier sehr menschlich und mit viel Verständnis abgeht. Da wird schon mal ein Auge zugedrückt, besonders, wenn eine Notsituation andauert.

Alles wird genau dokumentiert und festgehalten

Einmal im Jahr gibt es eine Gewinnausschüttung an die Frauen der Gruppe…letztes Jahr doch rund 70 Euro pro Nase. Sie sind sehr zufrieden,  besonders auch, weil ihnen die Kredite einiges an Sorgen des Alltags erleichtern.

Das alles haben die Frauen eigenständig und ohne Hilfe von außen auf die Beine gestellt. Auch ohne unsere – warum also sind wir da?

Ein Mitglied der Gruppe war bereits in einem unserer Projekte. Die Katechetin war sehr zufrieden mit der Hilfe und Beratung und hat uns zu diesem Treffen eingeladen, weil die Gruppe gerne weitere Projekte umsetzen möchte. Darüber diskutieren wir nun. Gerne wollen sie einen gemeinsamen Acker kaufen und anlegen und den Gewinn teilen. Sie alle kennen sich aus mit der Arbeit auf den Feldern und auf mehrere Schultern verteilt, ist es nicht viel mehr Aufwand, meinen sie. Gemeinsam mit unserem erfahrenen Projektmanager Moses planen wir welche Schritte als nächstes anstehen. Die Registrierung als eingetragener Verein, damit alle abgesichert sind, festlegen von Regelungen, falls eine der Frauen aus der Gruppe ausscheidet, umzieht oder verstirbt. Auch hier gibt es gute Vorschläge. Eine junge Frau meint, dass dann eine der Töchter oder wenn keine Tochter da ist, eine der Schwiegertöchter ihren Platz einnehmen soll. Wichtig ist, es soll alles in Frauenhand bleiben. 

Gerne unterstützen wir sie, wenn ein Eigenbeitrag von der Gruppe gesichert ist und die rechtliche Struktur geklärt ist. Auch bei den Registrierungsgebühren können wir helfen – sie wissen, was nun zu tun ist und sind am Zug. Wir hoffen die Gruppe wiederzusehen und mit ihnen zu arbeiten, dann als Organisation oder Verein.

Als es zum obligatorischen Fototermin kommt, geht gerade ein Mann im Hintergrund auf der Straße. Etwas skeptisch beäugt er das Treffen. Die Frauen rufen ihm zu, er solle weitergehen, hier wird er nicht gebraucht und auf dem Bild hat er als Mann nichts zu suchen. Und so verlassen wir eine Gruppe von Frauen, die einander den Rücken stärken und ihren Alltag bewältigen.

Unterwegs in den Dörfern- oder wie wir das Wort “mzungu” lernten

Ihr seht hier Beiträge zu unseren Projektbesuchen – aber wie kommen wir da eigentlich immer hin? Ifakara ist kein Dorf mehr, es ist eine Stadt und wer weiß schon mit wievielen Einwohnern? Sicher mehr als 350.000 (wenn man den Census 2022 als Grundlage nimmt), vielleicht sogar schon fast 500.00.

Aber außerhalb der Hauptverkehrswege gibt es kaum geteerte Straßen. Zwar gibt es auch relativ gut mit dem Auto passierbare Pisten, aber immer nur im Auto sitzen wollen wir ja nicht.

Barabara mkuu – die Hauptstraße von Ifakara

Darum ist unser wichtigstes Fortbewegungsmittel hier das Fahrrad. Entlang der breiteren Straßen ist Vorsicht geboten, denn gefühlt gilt hier das Gesetz des Stärkeren und das sind die Kleinlastwagen und Motorräder und nicht die Radfahrer. Der Staub macht das ganze nicht einfacher – wenn ein LKW vorbeidonnert ist es erst mal vorbei mit der Sicht, bis sich die Staubwolke wieder legt.

Durch die Dörfer hindurch, manchmal direkt zwischen den Häusern und Hütten, sozusagen fast durch den “Vorgarten”.

Das Fahrrad hat einen entscheidenden Vorteil – man ist mit den Menschen schneller und einfacher in Kontakt.  Ein schneller Gruß,  ein kurzes Winken und immer wieder Kinder, die – oft etwas erstaunt oder zumindest überrascht “Mzungu,  Mzungu!” rufen. Das bedeutet EuropäerIn bzw Weiße/r. Und oft ist es für die Kinder in den abgelegenen Dörfer das erste Mal einen solchen Mzungu so nah zu sehen – noch dazu auf dem Fahrrad. Wir haben also zumindest Unterhaltungswert.

Manchmal werden die Wege sehr schmal, kaum mehr als kleine Trampelpfade zwischen Feldern – ab und zu müssen wir wegen einer dicken Sandschicht auch absteigen.

Und auf den Feldern direkt geht es sowieso nur zu Fuß weiter.

Wir sind gerne hier unterwegs mit Rad oder auch zu Fuß. Es verringert die Distanz zwischen Menschen, wenn man sich auf Augenhöhe begegnet und das ist mit Fahrrad und zu Fuß ganz sicher der Fall. Und viele sind erstaunt und freudig überrascht, wenn wir auf den Rädern ankommen und nicht mit dem Auto – oftmals ein Türöffner für weitere Gespräche.

Der Erste sein

Tansania ist ein junges Land – nicht was die Besiedlungsgeschichte betrifft, die ist natürlich viel älter als die in Europa, sondern wenn es um das Durchschnittsalter geht. Das liegt bei nicht ganz 17 Jahren – in Österreich und Deutschland ist der Durchschnitt fast 30 Jahre älter, als hier.

Aber was bedeutet es ein junger Mensch in diesem Land zu sein? Wir besuchen immer wieder Schulen und haben auch Zeit mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen, aber besonders mit unseren Stipendiatinnen und Stipendiaten ergeben sich längere Gespräche.

Einer davon ist Godfrey, der auf seinen Weg vom College in Dar es Salaam zu seinem Praktikum einen Zwischenstop im Heimatort Ifakara eingelegt hat. Am selben Abend soll es noch weitergehen, aber er wollte seine Mutter und Schwester besuchen und uns sehen. Für unsere Stipendiaten ist es nicht immer einfach mit uns zu sprechen. Es fehlen die Worte. Warum, das erklärt er uns.

Für jemanden aus einer armen Familie ist es nicht möglich eine höhere Ausbildung zu erreichen. Wer soll es bezahlen? Wenn es also doch klappt – das ist wie ein Wunder.

Und was kann man zu einem Wunder sagen? Für uns immer eine schwierige Situation. Man muss aushalten, dass immer wieder “Danke, ich danke euch” gesagt wird, auch wenn unsere Hilfe ohne die Bemühungen und harte Arbeit der jungen Menschen sinnlos wäre. Ohne Geld verpufft jede Bemühung ihrerseits. Bildung ist hier zu teuer, um für alle zugänglich und erreichbar zu sein.

Meine Mutter ist alleinerziehend. Der Vater hat uns verlassen. Wir leben von der kleinen Landwirtschaft – ein paar Felder sind es, mehr nicht. Meine Schwester ist jünger und geht noch zur Schule. Und ich, ich kann studieren. Transportmanagement – Schwerpunkt Züge. Tansania will das Bahnnetz erneuern und ausbauen und ich gehöre zum ersten Studienjahrgang für dieses Fach. Es wird genug Arbeit für uns geben.

Nun gut, kann man da sagen, was hat nun der Rest der Familie davon, dass dieser junge Mann studiert und dann vielleicht, hoffentlich eine gute Arbeitsstelle findet? Wir fragen ihn – Godfrey sieht uns etwas verwirrt an, die Frage versteht er nicht. Erst nach einiger Erklärung weiß er worauf wir hinaus wollen.

Wenn ich Geld verdiene …natürlich helfe ich meiner Familie. Es ist meine Verantwortung. Die Ausbildung meiner Schwester, Hilfe für meine Mutter und auch das Schulgeld für andere Familienmitglieder …es ist selbstverständlich, dass ich das bezahlen werde. Ich komme aus einer armen Familie, ich habe diese Chance bekommen. Ich muss sie nutzen, für uns alle. Ich muss unter den ersten (besten) meiner Klasse sein.

Verantwortungsbewusstsein wird hier groß geschrieben. Er hat vor, der erste in der Familie zu sein, der ein Studium abschließt. Und Familie bedeutet hier mehr als die Kernfamilie, schließt also auch Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen mit ein.

Ja, eine große Verantwortung ruht auf den Schultern des jungen Mannes – und auch viel Hoffnung. Mit eurer Hilfe konnten wir ihm zumindest die Last der finanzielle Sorge von den Schultern nehmen.

Bustani – der Garten

Kleine Hilfen können Großes bewirken. Das sehen wir hier immer wieder. Und einmal mehr als wir Saidi besuchen.

Es ist ein Bisschen, als würde man eine andere Welt betreten, wenn man von der staubigen Hauptstraße in Saidis Garten kommt. Grünes Gras wächst zwischen den verlegten Platten, darauf finden sich bemalte Tierfiguren in Lebensgröße und im Schatten der höheren Bäume und Palmen gedeihen Pflanzen, die uns ihre farbenfrohen Blüten entgegenstrecken. Jungpflanzen wachsen in Töpfen und Säcken am Rand der Anlage und mehrere junge Männer sind mit Gießen und Jäten beschäftigt, als wir ankommen. Friedlich wirkt alles, auch wenn die geschäftige Hauptstraße nur wenige Meter entfernt ist. 

Ruhig wirkt auch der junge Mann, der diesen Garten angelegt hat. Zumindest bis er von seinem Garten spricht. Dann beginnen die Augen zu leuchten und er erzählt von Bäumen in seiner nördlich liegenden Heimatregion Mara, deren Samen er hier zu Jungpflanzen gezogen hat und von blühenden Sträuchern in den Gärten von Dar es Salaam, deren Stecklinge er auch hier gedeihen lässt. “The gardening is my passion.” -“Das Gärtnern ist meine Leidenschaft.”

Der gelernte Apotheker kennt sich auch mit Heil- und Gewürzpflanzen aus und ist immer wieder auf der Suche nach neuen Pflanzen für sich und seine Kunden. Denn Saidi hat hier keinen privaten Garten angelegt, sondern einen Schaugarten.

Mit der Hilfe des Vereins konnte er seinen Traum verwirklichen und beginnen, eine Gärtnerei und Baumschule aufzubauen. Er legt auch Gärten an und betreut sie.

Vor einigen Jahren noch undenkbar, davon hier leben zu können. Aber auch in Ifakara wächst die Zahl derer, die sich bessere Häuser und auch Gärten leisten können.  Was in den kleinen Dörfern noch sehr fern scheint, ist hier schon machbar.  Die Schere geht auseinander,  das erleben wir immer mehr.  Aber die Mehrheit hat es noch nicht geschafft.

Und so reicht es noch nicht ganz zum Leben für den jungen Mann, auch weil er seinen Helfern genug bezahlen möchte. Es ist ihm wichtig an andere junge Erwachsene sein Wissen und seine Begeisterung für die Pflanzen weiterzugeben. Um selbst gut über die runden zu kommen, schiebt er Nachtschichten in der Krankenhausapotheke.

Und es gibt Pläne zum Ausbau und immer wieder erweitert er seine Anlage –  Ideen dazu liefert oft das Internet. Und dann überlegt er wie es hier umsetzbar wäre. Es gibt so viele Ideen, möglicherweise ein kleiner Spielplatz und eine Imbissbude – damit der Garten zum Ausflugsziel am Wochenende wird. V.a. auch als Ort für Hochzeitsfotos und ähnliche Feiern, will er seinen Garten zur Verfügung stellen, gegen eine kleine Gebühr und als Werbung. Langsam, aber beständig erweitern und ausbauen …immer wieder das Erreichte absichern und erst dann einen Schritt weitergehen, so der Plan.

“Ohne eure Hilfe, wäre das nicht möglich gewesen. Ich bin alleine hier, meine Familie ist weit entfernt und durch Moses habe ich viel Beratung bekommen.  Wenn ich ein Problem habe, gehe ich zu ihm und wir suchen eine Lösung. Er ist wie ein Bruder und Mentor für mich.  Und eure finanzielle Hilfe am Anfang, hat es mit ermöglicht, das hier aufzubauen. Das will ich weitergeben…anderen helfen und ihnen zeigen was möglich ist.”

Und er wird das gleich umsetzen, denn an einer der Schulen, die wir besucht haben, war der Gartenbau für den dortigen Umweltklub ein großes Thema.  Saidi ist sofort bereit in Kontakt zu treten und die Schülerinnen und Schüler zu sich hierher einzuladen und zu beraten.  “So wie ihr es bei mir getan habt.”, lacht er.

Wir verlassen diesen friedlichen Ort – zurück ins laute und bunte Treiben der Hauptstraße und sind uns sicher,  dass hier noch einiges entstehen wird.

Ein Rundgang durch einen Teil der Anlage von Saidi

Homeoffice an der Schule

Wir besuchen eine weitere Grundschule, diesmal im abgelegenen Ortsteil/Dorf Kilama. Noch vor ein paar Jahren hatte hier kein einziges Haus Strom. Rund ums Dorf sind viele Felder und Buschland und der Weg dorthin führt über ungeteerte Straßen von Ifakara her. Wir bekommen einmal mehr Einblicke ins Leben im sehr ländlichen Afrika. Einige der Häuser sind nach wie vor die traditionellen Lehmbauten mit Grasdächern, gekocht wird noch viel vor dem Haus über dem Feuer und Hühner sind gefühlt überall unterwegs.

Neben den Feldern besuchen wir die kleine Grundschule mit ihren 292 Schülerinnen und Schülern. Auch hier konnten wir den Bau eines Klassenraumes unterstützen. Darum sind alle gekommen, politische VertreterInnen, Dorfälteste und Mitglieder des Baukommitees. Wir alle stehen und sitzen dicht gedrängt in dem kleinen Lagerraum, der derzeit das Lehrerzimmer ist und hören den vorher verfassten Bericht über den Bau, die Herausforderungen der Schule, aber auch von den sehr guten Ergebnissen der Schülerinnen und Schüler in den national standardisierten Tests. Darauf sind die Lehrerinnen und Lehrer sehr stolz.

Es ist ein sehr engagiertes Team hier an der Schule, so macht es den Eindruck auf uns. Wie engagiert sie aber tatsächlich sind, sehen wir bei unserem Rundgang gleich zu Beginn …

Kindergartengruppe in Kilama mit ihrer Lehrerin

Wie alle Grundschulen hat auch diese hier eine Kindergarten-/Vorschulgruppe. Wir treffen sie im Schulhof unter einem Baum mit ihrer Lehrerin Zauda. In ausgezeichnetem Englisch erklärt sie uns, dass sie zwar eigentlich nicht Kindergärtnerin, sondern Lehrerin sei, aber ihre Kinder sehr liebe und sehr gerne mit ihnen arbeitet. Nach dem Unterricht mit ihnen geht sie weiter in die Regelklassen um dort weiter zu arbeiten. Sie will uns aber auch den Klassenraum zeigen. Etwas verwirrt fragen wir, warum wir uns vom Schulgebäude entfernen und in Richtung der Wohnhäuser gehen, die am Rand des Schulgeländes stehen. “Because we have no classroom, so I teach them in my livingroom.”, sagt sie “Weil wir kleinen Klassenraum haben, unterrichte ich sie in meinem Wohnzimmer.”

Und da stehen wir, im Wohnzimmer, das kaum als solches erkennbar ist. Vor ihrer Schlafzimmerttür steht die Bank, auf der sie sitzt, wenn sie unterrichtet und von der Decke hängen Leseübungen – denn im Kindergarten lernen die Kinder hier Schreiben, Lesen und beginnen mit den Grundrechnungsarten.

Durch die Tür des Schlafzimmers hinein in den Kindergarten

“Es ist ein kurzer Arbeitsweg”, lacht sie, “aber es ist sehr wenig Platz. Wenn alle 43 Kinder da sind, müssen ein paar sich in den Lagerraum neben dem Wohnzimmer setzen, den kann ich von de Bank aus sehen, wenn ich mich etwas strecke.” Dass sie kein Wohnzimmer mehr in dem ohnehin kleinen Häuschen hat, sei kein Problem für sie, das gibt sie gerne für die Kinder auf. “Aber so kann man nicht lernen, so eng aufeinander oder im Lagerraum neben Reissäcken. Das ist nichts für meine Kinder.” Und auch das mit dem Homeoffice hatten wir irgendwie anders verstanden.

An der Schule gibt es auch Klassen, die im Schichtbetrieb im selben Raum unterrichtet werden – Lehrpersonen werden nur von der Regierung angestellt, wenn es auch Klassenräume gibt.

Es gibt also noch viel zu tun hier, aber alle sind sich einig, dass die daran arbeiten wollen. Egal ob Schülerinnen, Lehrer, Politikerinnen oder Dorfälteste – gemeinsam ist es machbar.

Erwachsenenbildung in Tansania

In unseren Projekten ist es uns wichtig nicht nur mit finanziellen Hilfen zu unterstützen. Es geht uns darum nachhaltige Hilfe zur Selbstständigkeit zu leisten – in anderen Worten: die Beteiligten sollen über den Projektzeitraum hinaus etwas in der Hand haben …

…oder im Kopf. In all unseren Projekten zum Thema Landwirtschaft und Gewerbegründung gibt es für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer Schulungsangebote. Diese reichen von Sortenauswahl, Techniken der Pflanzung und Techniken zur Verlustreduktion bei der Ernte, bis hin zu Marktanalysen im kleinen Stil und Umgang mit Ressourcen in kleinen Geschäften. 

Emanuel und Gregori

Auch Emanuel hat an den Schulungen teilgenommen, denn er wollte sich über die Vermarktung seiner Schweine ein Zusatzeinkommen erwirtschaften.  Wir besuchen ihn und seine Familie.  Der junge Mann lebt derzeit noch bei seinen Eltern, gemeinsam mit anderen Verwandten, seiner Lebensgefährtin und dem 4jährigen Sohn Gregori, der uns etwas unsicher beäugt.

“Diese Schulung hat mich zum Nachdenken gebracht. Es gibt hier eine Familie, die sehr gute Körbe flechtet. In der Stadt Makambako habe ich gesehen, dass weniger schöne Körbe viel mehr kosten als hier. Diese Stadt ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und viele Menschen machen dort Pausen oder steigen in Busse und Züge um – und oft kaufen sie dort auch ein. Ich fahre jetzt 2 mal im Monat mit jeweils 100 Körben im Gepäck mit dem Bus dorthin und verkaufe jedes Mal alle sehr schnell. Die Busfahrt kostet nicht so viel und ich mache guten Gewinn. In der Schulung habe ich aber gelernt, dass es gut ist eine solche Fahrt und die Zeit dort gut zu nutzen. Ich habe jetzt dort auch ein kleines Maisfeld, das ich bestelle und pflege, wenn ich sowieso schon vor Ort bin. Und auf dem Rückweg nehme ich Tomaten mit – die Tomaten aus Makambako sind besonders gut, das weiß jeder und ich erziele hier in Ifakara einen guten Preis mit ihnen auf dem Markt.” Er ist stolz, dass er selber die Idee hatte, seine Fahrten und die Zeit des Aufenthaltes zu optimieren.

“Es hat mir sehr geholfen, was ich gelernt habe. Wirklich! In der Schule habe ich das nicht erfahren.”, meint er. Und was macht er mit dem Gewinn? Jeden Monat legt er einen Teil zur Seite, für dir nächsten Fahrten und der Rest fließt in den Wunsch vom Eigenheim. Seine Baustelle müssen wir uns natürlich ansehen, das ist ihm wichtig. Es ist eine große Leistung, dass er beginnen konnte, ein Haus zu errichten.  Auch, wenn es noch viele Fahrten brauchen wird, um das kleine Haus mit 3 Zimmern fertig zu stellen. Der Anfang ist gemacht und Emanuel wird es aus eigener Kraft schaffen seinen Traum zu erfüllen. Dank einer kleinen Anregung.